Nach Tristan

EINE REISE AUS DER VERGANGENHEIT RÜCKWÄRTS IN DIE GEGENWART

Was das Mittelalter als Folge einer Zauberei oder eines Fluches ansah, suchte und feierte die Romantik als die intensivste Offenbarung. Solche Verzehrung durch die Leidenschaft zu erleben, war die Sehnsucht der romantischen Liebespaare, auch wenn der Leidenschaft gewordene Trieb die größte Tyrannei ausübt. Er kassierte die sozialen Bedingungen, indem sie sich, bis ins épater le bourgeois, von der Gesellschaft und deren Sitten und Bräuchen löste.
Franz Blei, „Formen der Liebe“

Heiner Müller hat nach seiner Inszenierung von TRISTAN UND ISOLDE bei den Bayreuther Festspielen 1993 bemerkt, dass sein Stück QUARTETT aus dem Jahre 1982, genau 200 Jahre nach der Vorlage LES LIAISONS DANGEREUSES von Choderlos de Laclos entstanden, eine Fortsetzung von Wagners TRISTAN sei, wenn man bei der Handlung ein Happyend voraussetzt: „Wenn die sich gekriegt hätten, wäre es zehn oder zwanzig Jahre später so zugegangen wie in QUARTETT.“

In seinem Stück nach Laclos hat Heiner Müller das Skelett des Briefromans freigelegt, um die Struktur der Geschlechterbeziehung als Hölle menschlicher Leidenschaften freizulegen, die Anatomie der Liebe, Terror und Gewalt im Bereich intimster menschlicher Beziehungen. Die Protagonisten Merteuil und Valmont agieren ebenso sittenlos wie verderbt im Salon vor der französischen Revolution die Zerstörung menschlicher Beziehungen von historischem Ausmaß aus:
Eine Frau liegt im Sterben. Sie begegnet noch einmal ihrem ehemaligen Liebhaber. Das körperliche Verlangen ist einem kalten Disput über Verführung, Eroberung und Eifersucht gewichen. Der Kampf der Geschlechter wird zum Kampf gegen Vergänglichkeit und Tod. Am Ende reicht die Frau dem Mann vergifteten Wein.
Auch bei Wagner geht es im TRISTAN um Sexualität und Macht, um Normabweichung und Bestrafung, um Schuld und Sühne, um Verrat und Untergang:
Ein Mann liegt im Sterben. Liebevoll wird er umsorgt. Es geht mit ihm zu Ende, aber er kann nicht loslassen. Er wurde mit Liebe vergiftet. Immer und immer wieder erlebt er in Déjà-vus die Begegnung mit seiner abwesenden Geliebten. Die Sehnsucht wird zur Obsession.

Zwei Paare, die durch ihr Denken und Fühlen außerhalb der herrschenden Gesellschaftsstruktur stehen und ein Gegenbild konstruieren. Der Traum einer obsessiven Liebessehnsucht als Fluchtversuch aus der bürgerlichen Gesellschaft und der Zwang, die bürgerliche Gesellschaft mit den Waffen des Intellekts in ihren Grundfesten, den Vorstellungen von Liebe, Treue und Moral anzugreifen wird zum Trauma.

RegieIngo Kerkhof
Bühnenbild und KostümeJessica Rockstroh
MusikFelix Kroll
DramaturgieGerhard Ahrens
SchauspielerinDagmar Manzel
SchauspielerSylvester Groth